Mit Handicap zum Erfolg: Horst Zinnert

In welchem Zeitraum besuchten Sie die SWS?
Von September 1985 bis Juli 1989; mein Abschluss: „Mittlere Reife".

Gab es einen speziellen Grund für diese Schulwahl?
Mein Vater besuchte bereits die Handelsschule, des Weiteren haben meine Eltern eine Gaststätte und ein Hotel, welches ich übernehmen sollte. Da war die Wirtschaftsschule die Wahl der Wahl.

Wenn Sie an die SWS denken, was fällt Ihnen spontan ein?
Kleine, übersichtliche Schule, kurze Wege, jeder kennt jeden, die alten aber etwas gemütlichen Klassenzimmer Rivalität mit der PWS, der Parkettsaal.

Was würden Sie rückblickend anders machen?
Hier muss ich etwas weiter ausholen. Ab Mitte der neunten Klasse begann mein Sehen immer schlechter zu werden. Dies fiel zunächst hauptsächlich im Sportunterricht auf. Ich verriet natürlich nichts und ließ mich lieber als ungeschickt hinstellen. Der Lehrer schätzte die Situation falsch ein und ich lief Gefahr zum Gespött der Klasse zu werden, aber wir hatten eine tolle Gemeinschaft. Aussagen wie z. B. „Da mußt du eben sehen wie du klar kommst, wir sind keine Sonderschule" machten mir das Leben nicht leicht. Positive Lichtblicke waren da Herr Hirschmann, der mir alles in vergrößerter Schrift gab und sich bemühte im Fach EDV das Problem technisch zu lösen. Frau Gelfert hatte Tränen in den Augen, weil wir keine Lösung fanden, wie ich die Prüfungen in Steno und Maschineschreiben schaffen könnte. Gerade diese drei Fächer erleichterten mir dann das Zurechtfinden in der Welt der Blinden.

Das ist schon interessant, wie Ihnen nach den langen Jahren respektvolles und mitfühlendes Verhalten einzelner Kollegen in Erinnerung geblieben sind. Was war denn Ihr schönstes Schulerlebnis?
Die Skifreizeiten nach Salzburg, Abschlussfeier und Abschlussfahrt nach Annecy, ansonsten jeder Tag an dem ich einen kleinen Erfolg im Unterricht hatte.

Was für Lieblingsfächer hatten Sie und warum gerade diese?
VWL, BWL und Wirtschaftsrechnen: In unserem kleinen Unternehmen konnte ich immer gleich die Theorie mit der Praxis vergleichen und mit meinem Vater herrliche Diskussionen führen. Dann faszinierte mich schon immer wie sich die vielen kleinen Rädchen „im großen Ganzen" auswirken. Überhaupt Aktien und Anleihen und die verschiedenen Geschäftsformen.

Wie verlief Ihre Zeit nach der SWS?
Nachdem es aufgrund der Sehbehinderung mit der angestrebten Kochlehre nichts wurde, musste ich mich komplett neu orientieren. Ein Jahr immer wieder Untersuchungen und Aufenthalte in verschiedenen Kliniken. Eine Zeit zwischen Hoffnung und Niedergeschlagenheit.

  • Von 1990 - 1993: Grundrehabilitation und Berufsorientierung im BFW Veitshöchheim
  • 1993 - 1994: Ausbildung zum Masseur und med. Bademeister im BFW Mainz und an der LVA-Höhenklinik in Bischofsgrün
  • 1995 - 1997: Beschäftigung als Masseur und med. Bademeister im Rotmain-Reha in Bayreuth
  • 1997 - 1998: Weiterqualifikation zum Physiotherapeuten im BBW Chemnitz
  • 1998 - 2003: Beschäftigung als Physiotherapeut wieder im Rotmain-Reha
  • 2003 - 2014: Heirat und aufgrund der beruflichen Situation meiner Frau Umzug nach Erlangen. Ich arbeitete als Physiotherapeut in einer mittelgroßen Praxis.
  • Seit Dezember 2014 arbeite ich in meiner eigenen Praxis für Physiotherapie in Bischofsgrün.

Hat die SWS auch einen Beitrag zu ihren Erfolgen geleistet?
Durch meine Kenntnisse in Steno und Maschineschreiben hatte ich enorme Vorteile in der Grundrehabilitation, Maschineschreiben ist eh klar und viele Kürzungen aus dem Steno kommen auch wieder in der Blindenkurzschrift vor. Durch das Wissen in vielen wirtschaftlichen Fragen empfand ich schon im privaten Bereich immer eine Sicherheit bei Geldanlagen und es machte mir natürlich auch den Schritt in die Selbstständigkeit leichter. Man ist nicht ganz so ein Greenhorn!

Welche Note würden Sie Ihrer ehemaligen Schule geben?
2 - 3

Haben Sie noch einen Appell an unsere Schüler?
Möglichst viel mitnehmen! Es gibt so viele Fächer, bei denen man im ersten Moment meint, das brauche ich in meinem Leben niemals. Man weiß nie welche Wendungen das Leben macht und dann kann man so vieles auf einmal gut gebrauchen!

Das ist wirklich ein gutes Schlusswort, Herr Zinnert. Vielen Dank für Ihre offenen und ehrlichen Antworten, die zum Nachdenken anregen. Sie sind ein Beispiel dafür, wie man Stolpersteine als Trittsteine legt, die letztlich den eigenen Weg ebnen. Nochmals vielen Dank!

(Das Interview führte StR Christian Knoll im März 2015.)

Hier ist ein Link zur Praxis von Horst Zinnert.